Forum zu Großprojekten: Stuttgart ist überall

von Jürgen Weber:

Auf dem internationalen „Forum tematico contro le grandi opere inutili“ in den Gemeinden Bussoleno und Venaus bei Susa (Provinz Turin), nahe der französischen Grenze, trafen sich Vertreter und Vertreterinnen der austragenden „NO TAV“-Bewegung (Susatal) gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke der Bahn zwischen Lyon und Turin sowie Gegnerinnen und Gegner des Projektes TAV aus Friaul, von anderen europäischen Hochgeschwindigkeitsstrecken aus dem französischen Teil des Baskenlandes, aus Katalonien sowie von Tiefbahnhofprojekten in Florenz und Stuttgart. Aus der Bretagne kam eine Delegation, die gegen den Flughafenneubau bei Nantes „Notre-Dame-des-Landes“ kämpft und aus den Abruzzen waren Vertreterinnen und Vertreter der Bewegung gegen eine gigantische Erdgaspipeline anwesend, die das Zweieinhalbfache des ganzen italienischen Gasverbrauchs durch eine der von Erdbeben gefährdetsten Region Europas transportieren könnte.

Forum zu Großprojekten: Stuttgart ist überall

Stuttgart ist überall: Der Fortschritt und die EU-Gelder…

Allen Projekten war nicht nur gemein, dass sie vielfache Milliardenbeträge an Steuergeldern verschlingen, sondern auch, dass ihr Nutzen oft fraglich ist. Alternativplanungen sind häufig leistungsfähiger, ökologisch verträglicher und erheblich kostengünstiger, würden aber auch deutlich weniger Profite für die beteiligten Firmen abwerfen.
Ebenso stellte sich heraus, dass überall mit falschen Zahlen und Fakten die Bevölkerung systematisch belogen und die Betroffenen vor Ort in die Entscheidungsprozesse nicht einbezogen werden. Häufig bestehen nachweislich hohe Risiken bei der Umsetzung und Nutzung der Großprojekte.

Als weitere Gemeinsamkeiten wurde auf dem Forum deutlich, dass die Protestbewegungen über ein hohes Sachwissen verfügen und zahlreiche Wissenschaftler und Fachleute mit ihnen zusammenarbeiten. Es wurde davon gesprochen, dass ein so genanntes Schwarmwissen besteht, also dass die Bürgerinnen und Bürger sich auch mit fachlichen Detailfragen des Projektes auseinandersetzen und diese weitertragen können. (…)

Von Stuttgart bis Turin: Verfahren und Verletzte

(…) Europaabgeordnete berichteten, wie schlecht sie mit gefälschten Zahlen und Fakten über solche Großprojekte informiert werden. Wenn sie sich nicht aus alternativen Informationsquellen sachkundig oder sich selbst vor Ort ein Bild machen würden, fiele ihre Entscheidung in der Regel zwangsläufig auf Grundlage dieser Fakten, Zahlen und Prognosen. Philosophen stellten auf dem Forum Fragen, zum Beispiel wie entfremdet politische Entscheidungen inzwischen getroffen würden: „Wieso man einen Bedarf auf Papier ermittelt und Linien durch Landkarten zieht“ und nicht vor Ort mit den Menschen spricht. „Was baust du hier an? Wie sieht deine Landschaft aus? Wie kannst du dir das Anliegen des Projektes vorstellen?“

Doch auch die Vernetzung des europäischen Widerstands gegen Großprojekte, die den Bürgerinnen und Bürgern kaum Nutzen bringen und große Lasten auferlegen, war ein zentrales Thema der Tagung. Aus Stuttgart kam der Wunsch nach jährlichen Foren, einer gemeinsamen Homepage und einem Informations- und Aktionsaustausch. Wenn im Susatal ein Zeltdorf geräumt werde, solle dies auch auf den Straßen von Stuttgart, Nantes, Bordeaux oder Barcelona Widerhall finden und anders herum ebenso. Die politische Vernetzung ging sogar so weit, dass die Widerstandsbewegungen beschlossen, eine gemeinsame Delegation zum Weltsozialforum 2013 nach Tunis zu senden. Das nächste Forum dieser Art soll 2012 in Stuttgart oder bei einer französischen Gruppierung stattfinden.

Während und nach der Tagung habe ich Hintergründe zur NO-TAV-Bewegung im Piemont recherchiert, die voraussichtlich im Oktober in der Züricher Wochenzeitung (WOZ) zu lesen sein werden.

Den ganzen Artikel lesen – zum Blog von Jürgen Weber